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Beweislast für medizinische Notwendigkeit/Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Gebührenvereinbarung

 | Gericht:  Landgericht (LG) Düsseldorf  | Aktenzeichen: 9 S 31/14 | Entscheidung:  Urteil
Kategorie:  Gebühren

Urteilstext


Tenor

Die 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 06.03.0018 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten wird das am 19. Mai 2014 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf - 33 C 10350/13 - dahin abgeändert, dass die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt wird, an den Kläger EUR 3.364,06 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.8.2013 zu zahlen. Im Übrigen werden Berufung und Anschlussberufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Gründe

I.
Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung. Nach diesem Vertrag hatte die Beklagte für die Kosten medizinisch notwendiger Heilbehandlungen aufzukommen und zwar im Bereich kieferorthopädischer Behandlungsmaßnahmen im Umfang von 75 %.

Der Zahnarzt des Klägers erstellte diesem unter dem 15.09.2012 den aus Anl. K3 ersichtlichen Behandlungsplan (Bl. 21 der Akte). Unter dem 18.09.2012 unterzeichneten der Kläger und der Zahnarzt die aus Anl. K4 (Bl. 24 der Akte) ersichtliche Gebührenvereinbarung.

Der Zahnarzt führte beim Kläger eine Behandlung durch und erstellte darüber die aus Anl. K5 (Bl. 25 der Akte) ersichtliche Gebührenrechnung vom 24.10.2012 über EUR 5.366,90, wovon EUR 2.081,15 sich über Kosten nach § 9 GOZ gemäß einer Fremdlaborrechnung verhielten. Wie in der Honorarvereinbarung vorgesehen bewegten sich die abgerechneten Sätze zwischen 5,9 und 8,2.

Die Beklagte erstattete nur EUR 661,12. Sie sah nach ihrem Schreiben vom 20.06.2013 (Anlage K 24, Bl. 55 der Akte) nur einen Teil der Behandlung als medizinisch notwendig an: Die begonnene Behandlung sei nicht in dem Umfang notwendig wie im Behandlungsplan beschrieben. Hinsichtlich des als medizinisch notwendig anerkannten Teils regulierte die Beklagte allerdings nur zum 3,5 fachen Satz unter Berücksichtigung der Kostenbeteiligung von 75 %.

Mit der Klage hat der Kläger 75 % von EUR 5.366,90 geltend gemacht, also EUR 4.025,18 abzüglich geleisteter EUR 661,12, mithin EUR 3.364,06.

Er hat die Rechtsmeinung vertreten, dass es sich bei den Einwendungen der Beklagten bezüglich der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung tatsächlich um solche handele, mit welchen geltend gemacht werde, dass die Heilbehandlung das notwendige Maß übersteige, es mithin um das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Übermaßbehandlung gehe und insoweit die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast treffe.

Er hat darüber hinaus die Ansicht vertreten, dass eine wirksame Gebührenvereinbarung vorliege und die Berechnung den tatsächlichen Wert der erbrachten Leistung wiederspiegle:

Insbesondere sei die Gebührenvereinbarung schon „aus ihrer Natur heraus" eine Individualvereinbarung. Am 18.09.2012 sei die Gebührenvereinbarung „in persönlicher Absprache" mit dem Zahnarzt erfolgt. Ein „Einzelfall" sei, so die Rechtsmeinung des Klägers „etwas ganz anderes als ein Ausnahmefall". Sein Zahnarzt treffe keineswegs mit allen Patienten Gebührenvereinbarungen. Die getroffenen Gebührenvereinbarungen seien, so die Behauptung des Klägers, keineswegs inhaltlich identisch. Sie enthielten nicht stets die gleichen Gebührenziffern mit dem stets gleichen Steigerungssatz. Allerdings sei das Spektrum kieferorthopädischer Leistungen sehr begrenzt. So gebe es bestimmte Kernleistungen, die praktisch bei jeder dieser orthopädischen Behandlung nach einer bestimmten Behandlungsmethode notwendig seien (Bl. 103 GA).

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an Ihn EUR 3.364,06 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, dass die medizinische Notwendigkeit nur insoweit gegeben gewesen sei, als es um den linken Unterkiefer betreffende Maßnahmen gehe.

Sie hat das Vorliegen einer wirksamen Gebührenvereinbarung in Abrede gesteilt. Der Zahnarzt des Klägers schließe mit allen seinen Patienten identische Honorarvereinbarungen, die Honorarvereinbarungen enthielten die stets gleichen Gebührenziffern mit den stets gleichen Steigerungssätzen. Das Vorliegen einer persönlichen Absprache hat die Beklagte bestritten.

Begonnen habe die Heilbehandlung darüber hinaus bereits am 28.11.2011, weshalb, so die Meinung der Beklagten, die Honorarvereinbarung nicht vor Erbringung der Leistung getroffen worden sei. Zudem stünden, so die Behauptung der Beklagten, die Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstigen Leistungen in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen. Gehe man davon aus, dass die Leistungsanbieter im Durchschnitt den 2,9 fachen Satz abrechneten, so wäre das Doppelte des üblichen Werts der 5,8 fache Satz. Dementsprechend stünden die berechneten 5,9- bzw. 8,2 fachen Steigerungssätze in einem auffälligen Missverhältnis zur erbrachten Leistung.

Zudem sei die Rechnung nicht fällig, denn es fehle an der notwendigen Begründung zur Überschreitung des 2,3 fachen Satzes.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 14.01.2014 (Bl. 289 der Akte) darauf hingewiesen, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Landgerichts Düsseldorf, des Oberlandesgerichts Düsseldorf und weiterer Gerichte davon ausgehe, dass die Gebührenvereinbarungen des hier betroffenen Zahnarztes grundsätzlich wirksam seien. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die Beklagte jedoch die medizinische Notwendigkeit der im kieferorthopädischen Behandlungsplan vom 15.09.2012 genannten Maßnahmen lediglich insoweit anerkannt, als es um solche im III. Quadranten gehe. Die medizinische Notwendigkeit sei entsprechend der Versicherungsbedingungen Leistungsvoraussetzung. Der Versicherungsnehmer trage insoweit die Darlegungs¬und Beweislast. Der Kläger habe dafür keinen Beweis angetreten. Er trete lediglich Beweis durch Einholung eines Gutachtens dafür an, dass sich die medizinische Notwendigkeit der durchgeführten kieferorthopädischen Behandlung aus dem kieferorthopädischen Behandlungsplan ergebe. Der Vortrag der Beklagten zu dem von ihr behaupteten Missverhältnis sei nicht hinreichend substantiiert.

Mit am 19.05.2014 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger EUR 483,13 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2012 zu zahlen. Die weitergehende Klage hat das Amtsgericht abgewiesen.
Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt:

Der Kläger könne von der Beklagten nur die von der Beklagten anerkannten Rechnungspositionen sowie zahntechnische Leistungen verlangen. Für die weiteren im Unterkiefer geplanten kieferorthopädischen Maßnahmen und bezüglich aller im Oberkiefer geplanten Behandlungsmaßnahmen stehe dem Kläger kein Erstattungsanspruch zu. Insoweit sei der Kläger für die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung beweisfällig geblieben. Die Einwendungen der Beklagten beträfen keine Übermaßbehandlung, sondern die Notwendigkeit der Behandlung. Soweit der Kläger vortrage, für eine kieferorthopädische Behandlung müssten beide Kiefer behandelt werden, damit die beiden Kiefer am Ende richtig aufeinander passten, betreffe dies die medizinische Notwendigkeit.

Die von der Beklagten vorgenommene pauschale Kürzung der Rechnungspositionen auf 3,5 sei nicht gerechtfertigt. Die Überschreitung des Satzes sei aufgrund der getroffenen Honorarvereinbarung gerechtfertigt. Die Vereinbarung entspreche den Anforderungen nach § 2 Abs. 2 S. 3 GOZ. Es habe der Heil- und Kostenplan vom 15.09.2012 zu Grunde gelegen. Danach seien bestimmte kieferorthopädische Leistungen vorgesehen gewesen, so dass sowohl die dafür vereinbarte Gebührenhöhe als auch das konkrete Behandlungsgeschehen als auf den Kläger abgestimmt anzusehen seien. Auf eine individuelle Aushandlung komme es nicht an.

Im Übrigen wird auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung machte der Kläger unter Beweisantritt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geltend, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden. Der Biss könne nicht ordnungsgemäß durch rein prothetische Maßnahmen hergestellt werden, wenn - wie vorliegend - Zahnfehlstellungen vorlägen. Er, der Kläger, habe ausführlich dazu Stellung genommen, dass er die Rechtsauffassung des Amtsgerichts zur Beweislast für unzutreffend erachtet. Er habe davon ausgehen dürfen, dass, sofern das Gericht an dem von Ihm erteilten Hinweis festhalte, es ihn entsprechend hinweisen werde. Überdies habe er mit Schriftsatz vom 28.01.2014 Sachverständigenbeweis für die hier entscheidungserhebliche Frage angeboten. Darüber hinaus habe das Amtsgericht die Beweislast verkannt.
Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 19.05.2014 verkündeten und am 23.05.2014 zugestellten Urteils des Amtsgerichts Düsseldorf, 33 C 10350/13 zu verurteilen, an ihn weitereEUR 2.880,93 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Darüber hinaus beantragt die Beklagte im Wege der Anschlussberufung,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage vollständig abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil insoweit, als mit diesem die Klage teilweise abgewiesen worden ist.

Im Übrigen hält sie das Urteil für unrichtig: Das Amtsgericht habe übersehen, dass die Wirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung nach § 2 GOZ in der hier maßgeblichen ab 1.1.2012 gültigen Fassung das Vorliegen einer persönlichen Absprache im Einzelfall voraussetze. Mit diesem Erfordernis habe sich das Amtsgericht nicht auseinandergesetzt. Darüber hinaus sei der Kläger in seiner Entscheidung auch nicht mehr frei gewesen, weil die Gesamtbehandlung bereits im Jahre 2011 begonnen habe. Darüber hinaus hält die Beklagte die Vereinbarung weiterhin für materiell unwirksam.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den diesen beigefügten Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Einholung eines unter dem 9.3.2016 erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Dr. … (BI. 725 ff. GA) sowie eines unter dem 9.5.2017 erstatteten Ergänzungsgutachtens dieses Sachverständigen. Der Sachverständige ist im Verhandlungstermin am 19.12.2017 durch den vorbereitenden Einzelrichter mündlich angehört worden. Die Kammer hat zudem durch den vorbereitenden Einzelrichter Beweis durch Vernehmung des Zeugen Dr. Mayerhöfer erhoben. Der Kläger ist vom vorbereitenden Einzelrichter als Partei vernommen worden.

II.
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren sind erfüllt, nachdem die Parteien diesem Procedere zugestimmt haben.

Die Berufung hat weitgehend Erfolg. Die Anschlussberufung ist im Wesentlichen unbegründet. Der Kläger kann Erstattung der geltend gemachten Behandlungskosten beanspruchen. Zugunsten der Beklagten war lediglich der Zinsausspruch des amtsgerichtlichen Urteils marginal zu korrigieren.

Im Einzelnen gilt das Folgende:

Zunächst trifft die Rechtsauffassung des Klägers zur Verteilung der Beweislast zu. Den Kläger trifft unter dem Gesichtspunkt der medizinischen Notwendigkeit nicht die Beweislast zu den Positionen, bezüglich derer die Beklagte überhaupt keine Erstattung vorgenommen hat. Vielmehr hat hier entgegen der Auffassung des Erstgerichts die Beklagte die Beweislast.

Während der Versicherungsnehmer lediglich die medizinische Notwendigkeit der Behandlung an sich darlegen und beweisen muss, räumt § 5 Abs. 2 MB/KKdem Versicherer das Recht ein, einzelne Behandlungsschritte und -teile auf ihre medizinische Notwendigkeit zu überprüfen. Aufgrund des Zusammenspiels zwischen § 1 Abs. 2 MB/KK und § 5 Abs. 2 MB/KK kann die Beurteilung der Beweislast im Einzelfall schwierig sein. Grundsätzlich obliegt es zunächst dem Versicherungsnehmer, die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung, deren Kosten er erstattet haben möchte, zu beweisen. Dass einzelne Behandlungsmaßnahmen nicht medizinisch notwendig waren, muss dann der Versicherer, wenn er seine Leistung kürzen will, beweisen (Schubach in Terbille/Höra Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht Rn. 331 ff.). Auch dann, wenn die durchgeführte Maßnahme als solche medizinisch notwendig war, ist der Versicherer berechtigt, den einzelnen Behandlungsvorgang, die Detailmaßnahmen des Leistungserbringers, die Art oder das „Maß" der Behandlung daraufhin zu überprüfen, ob speziell diese medizinisch notwendig war. Erweist sich, dass es bei bestimmten Behandlungsmaßnahmen daran fehlte, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistungen entsprechend zu kürzen. Beispiele hierfür sind zu häufige Anwendung bestimmter Maßnahmen, zu umfangreiche Untersuchungen, die Durchführung einer aufwändigen Behandlung, die zum gleichen Erfolg führt wie eine andere, ebenfalls geeignete, aber kostengünstigere Maßnahmen (Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung Rn. 36).

Im Streitfall ist von der Behauptung einer Übermaßbehandlung auszugehen. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 20.6.2013 nämlich nicht die medizinische Notwendigkeit der vom Zahnarzt des Klägers durchgeführten Heilbehandlung insgesamt in Abrede gestellt. Vielmehr hat sie dahin formuliert, dass die „begonnene Behandlung nicht in dem Umfang" (Schreiben der Beklagten vom 20.6.2013, Bl. 55 GA) medizinisch notwendig sei wie in dem Behandlungsplan beschrieben. Sie bestreitet dementsprechend nur die Notwendigkeit einzelner Schritte, wofür sie die Beweislast trifft. Soweit sie insbesondere behauptet, dass nur 13 Schienen erforderlich gewesen seien an Stelle der tatsächlich berechneten 80, hat sie, weil es auch hier um eine Übermaßbehandlung geht, ebenfalls die Beweislast.

Beweis zum Vorliegen einer Übermaßbehandlung hatte die Beklagte in erster Instanz nicht angetreten. In der Klageerwiderung hat sie die Auffassung vertreten, dass insofern den Kläger die Beweislast treffe (Bl. 77 GA).

Rechtsfehlerhaft hat allerdings das Amtsgericht einen Hinweis dahin erteilt, dass der Kläger die medizinische Notwendigkeit der durchgeführten Behandlung beweisen müsse. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beklagte bei Erteilung eines sachgerechten Hinweises zur Verteilung der Beweislast in erster Instanz bereits dort Beweis für das Vorliegen einer Übermaßbehandlung angeboten hätte, war dem in der Berufungsinstanz erfolgten Beweisantritt nachzugehen.

Eine Übermaßbehandlung lässt sich im Ergebnis der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststellen. Vielmehr hat der Sachverständige Dr. … bei seiner mündlichen Anhörung zur Überzeugung der Kammer ausgeführt, dass er die Auffassung, dass lediglich im Bereich des linken Unterkiefers des Klägers eine kieferorthopädische Behandlung erforderlich gewesen sei, nicht teile. Angesichts der erhobenen Befunde sei die Durchführung einer umfassenden kieferorthopädischen Behandlung notwendig gewesen. Nicht mit Sicherheit feststellen lasse sich, dass eine weniger aufwendige Behandlung, etwa durch Verwendung von Komposit im Oberkiefer, den gleichen Erfolg gebracht hätte.
An den Feststellungen des Sachverständigen Dr. … hat die Kammer keinen Zweifel. Es handelt sich um einen berufserfahrenen Kieferorthopäden, der seine Feststellungen sorgfältig und, soweit erkennbar, unvoreingenommen begründet hat. Insbesondere nach der mündlichen Darstellung im Rahmen der Anhörung des Sachverständigen ist die Kammer von der Notwendigkeit der umfangreichen Behandlung überzeugt.

Der Kläger kann die Erstattung der Behandlungskosten im begehrten Umfang verlangen. Dies gilt trotz der Gebührenvereinbarung des Klägers mit dem ihm behandelnden Zahnarzt. Eine Deckelung auf einen bestimmten Faktorsehen die Versicherungsbedingungen im hierzu beurteilenden Fall nicht vor.

Nach den maßgeblichen AVB 1970 (Urteil der Kammer vom 26.11.2015 in der Berufungssache … - 9 S 46/14) werden Leistungen betreffend Zahnbehandlungen, Zahnersatz und Zahn- und Kieferregulierung - im tariflichen Umfang - erstattet. Dabei gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass Zahnbehandlungen zu 100% erstattet werden, Zahnersatz und Zahn- und Kieferregulierung zu 75% und dass funktionsanalytische und -therapeutische Leistungen (Gnathologie) erst in späteren Tarifbedingungen, auf die hier nicht zurückgegriffen werden kann, erwähnt werden.

Auf dieser Grundlage kann der Kläger die Erstattung der streitgegenständlichen Rechnungen des Zahnarztes Dr. … beanspruchen.

Die Gebührenvereinbarung vom 18.9.2012 (Anlage K4, Bl. 24 GA) ist im Ergebnis der gebotenen und vom Berufungsgericht nachgeholten Beweisaufnahme wirksam.

Der Kläger hat mit dem Zahnarzt unter dem Datum des 18.9.2012 eine Gebührenvereinbarung im Sinne des § 2 GOZ abgeschlossen. Insbesondere sind im Ergebnis der Beweisaufnahme die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GOZ erfüllt.

Eine persönliche Absprache im Sinne der genannten Vorschrift liegt vor. Der als Zeuge vernommene Zahnarzt hat bekundet, dass er dem Kläger die Gebührenvereinbarung mit den dort vorgesehenen kieferorthopädischen Leistungen und Faktoren erläutert habe und ihm die Unterlage habe mit nach Hause geben wollen. Der Kläger habe sie aber gar nicht mitnehmen wollen, sondern bereits an Ort und Stelle unterschrieben. Der Kläger hat das bei seiner Parteivernehmung im Wesentlichen bestätigt. Er konnte sich zwar an Einzelheiten nicht erinnern, aber bestätigen, dass es um Gebührensätze gegangen sei, dies ihn allerdings nicht interessiert habe.

Der Verwertung der erhobenen Beweise steht nicht entgegen, dass die maßgeblichen Aussagen vor dem vorbereitenden Einzelrichter erfolgt sind und nicht vor der Kammer als Kollegium. Nach § 527 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann der vorbereitende Einzelrichter zur Förderung der Sache einzelne Beweise erheben, soweit dies zur Vereinfachung der Verhandlung vor dem Berufungsgericht wünschenswert und.von vornherein anzunehmen ist, dass das Berufungsgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.

So liegt es im hierzu entscheidenden Fall. Die ausführlich protokollierten Aussagen ermöglichen dem Kollegium unter Berücksichtigung des weiteren Streitstoffs die Beurteilung der Glaubhaftigkeit. Nicht zu vergleichen ist die vorliegende Fallgestaltung mit dem vom Bundesgerichtshof in dessen Urteil vom 18.3.1992 (NJW 1992,1966) beurteilten Sachverhalt, in welchem das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen verneinte, obgleich sich nur der vorbereitende Einzelrichter einen persönlichen Eindruck verschafft hatte ohne diesen zu dokumentieren.

Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Kläger und der ihn behandelnde Zahnarzt ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben. Allein das reicht der Kammer aber nicht, um von der Unwahrheit der Bekundungen auszugehen. Haben indessen Kläger und Zahnarzt über die Vereinbarung gesprochen, bevor diese zur Unterschrift gelangte, so ist von einer persönlichen Absprache im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 GOZ auszugehen.

Diese ist auch für den Einzelfall getroffen worden, nämlich für den hier zu behandelnden Kläger. Das ergibt sich aus dem Inhalt der Vereinbarung selbst, in welcher die Vertragsparteien bezeichnet sind. Nicht entgegen steht der Annahme des Einzelfalls, dass der Zahnarzt mit anderen Patienten ähnliche Vereinbarungen trifft. Das ändert nichts daran, dass jeder Patient für sich betrachtet einen Einzelfall darstellt.

Sie ist auch vor Beginn der kieferorthopädischen Behandlung getroffen worden. Der Beginn ist nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. … (auf das Einsetzen der ersten Schiene zu datieren, lag also zeitlich nach dem Abschluss der Gebührenvereinbarung.

Soweit sich die Beklagte zu ihrer Rechtsverteidigung auf § 192 Abs. 2 WG bezieht, ist zu bemerken, dass der Versicherer in der Beschreibung des Leistungsversprechens frei ist (Bach/Moser/Kalis, 5. Aufl. 2015, VVG § 192 Rn. 61) und eine Höchstsatzbegrenzung in den streitgegenständlichen Bedingungen nicht vorgesehen hat.

Nicht feststellen lässt sich die Sittenwidrigkeit der vom Kläger und dem Zahnarzt getroffenen Gebührenvereinbarung.

Schon das Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB erscheint zweifelhaft. Dieses ist in der Regel gegeben, wenn der objektive Wert von Leistung und Gegenleistung um etwa 100% oder mehr voneinander abweichen (BeckOK BGBA/Vendtland BGB § 138 Rn. 47-49.1, beck-online). Von der Beklagten ist eine solche Abweichung nicht dargelegt. Maßstab des objektiven Wertes kann, wenn die Parteien eine von § 2 Abs. 1 GOZ ausdrücklich erlaubte von § 5 Abs. 1 Satz 1 GOZ abweichende Gebührenvereinbarung treffen, nur der Satz sein, welchen Zahnarzt und Patient im Falle einer Gebührenvereinbarung für eine Leistung der hier in Rede stehenden Art üblicherweise vereinbaren. Dazu ist dem Sachvortrag der Beklagten nichts zu entnehmen.

Keine Anhaltspunkte ergeben sich überdies aus dem eingeholten Sachverständigengutachten dazu, dass ein die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung begründendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegen könnte. Vielmehr hat sich bei der Anhörung des Sachverständigen und der zeugenschaftlichen Vernehmung des Zahnarztes ergeben, dass es sich um eine individuelle und zeitaufwändige Behandlung handelte.

Der Annahme der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB steht allerdings zudem entgegen, dass sich jedenfalls der dafür erforderliche subjektive Tatbestand (vgl. BeckOK BGBA/Vendtland, 43. Ed. 15.6.2017, BGB § 138 Rn. 50) nicht feststellen lässt: Unerfahrenheit, Zwangslage, Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche haben sich bei dem Kläger im Rahmen der Parteivernehmung nicht bestätigt. Vielmehr handelt es sich bei dem Kläger um den Direktor des Petersberg- Hotels in Königswinter, dem geschäftliche Unerfahrenheit kaum unterstellt werden kann.

Im Ergebnis kann der Kläger nach alledem Erstattung der Behandlungskosten in Höhe von 75% verlangen, mithin die Zahlung eines weiteren Betrags, wie er Gegenstand des Antrags in der Berufungsbegründung ist. Der Kläger kann nur Prozesszinsen beanspruchen, da sich Schuldnerverzug zu einem früheren Zeitpunkt aus den diesbezüglichen Ausführungen in der Klage nicht ergibt. Die die Abweisung der Klage erstrebende Anschlussberufung der Beklagten ist hingegen im Wesentlichen unbegründet.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus§§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 3.364,06 festgesetzt.


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